Klauseln. Eine Selbstreflexion

Photo: Ilme Vysniauskaite

– the final disclamer is in english - scroll down –

Die Liste dessen, was wir als Klauseln unter unsere Workshopbeschreibungen setzen möchten, wächst und wächst von einer Workshoperfahrung zur nächsten immer mehr.

Gastfreundschaft und Heterogenität

Es hat zum Beispiel gefühlt mal gereicht zu schreiben, dass „Menschen aller Gender und sexueller Orientierungen willkommen sind.“ Mittlerweile ist klar: Das einfach zu erwähnen reicht natürlich nicht. Weil eine gemischte Gruppe eigene Sprengkraft mitbringt und natürlich sind alle willkommen, aber wie wird man den spezifischen Herausforderungen da gerecht? Schaffen Workshopleiter*innen es, über Vulven so zu sprechen, dass auch Menschen ohne anatomische, aber mit energetischer Vulva ihre Mösenmassage erhalten können? Wer schafft das? Wie? Und wie manövrieren Gruppenleiter*innen da durch, ob eine Gruppe cool damit umgeht, wenn zum Beispiel strukturell marginalisierte Menschen (z. B. Menschen mit Körpern, die  im Spektrum von race, gender, age, dis_ability  andere Bedingungen mitbringen, als es eine gesellschaftlich konventionelle Norm vorgibt) dabei sind — ohne dass in die triggernden Fettnäpfchen getreten wird? Da müssen ja gar nicht böse Absichten hinter sein, manchmal sind es ja sogar die guten Absichten, die besonders verletzen. Meistens ist es eine Frage der Gewohntheit. Sei das nur, weil plötzlich jemand amüsiert lacht, wenn der cis-Mann sich ein Kleidchen anzieht. Und schon ist da für andere eine Verletzung im Raum. Wie fängt man das auf? Ist es unsere Verantwortung es aufzufangen? Wie weit muss und kann Eingreifen und therapeutische Arbeit gehen? Wie viel müssten wir monetär als Workshopbetrag verlangen, um diese Aufgabe zu erfüllen und nicht wiederum in die Falle des unbezahlten emotional labour zu treten?
Die Überlegungen sind notwendig, damit „Willkommenheißen“ sich nicht bloß als „tolerieren“ oder „dulden“ entpuppen, weil die Willkommengeheißenen selber gucken müssen, wo sie bleiben, auch wenn sie nicht proaktiv ausgeschlossen werden. Um nicht nur Gastfreundschaft zu behaupten, braucht es Praktiken des proaktiven Willkommenheißens, das Ausrichten des Gastraumes an „alle Gender und sexuelle Orientierungen“, ohne weitehin unterschwellig von heteronormativen Regeln auszugehen. Es bringt nichts, vegane Freunde zum Essen „willkommen zu heißen“ und dann mit Sahne zu kochen.

Risiken- und Nebenwirkungen

Wie viel Warnung kann und sollte vorneweg erwähnt werden, ohne potentielle Teilnehmer*innen abzuschrecken? Die Kurse gehen ans Eingemachte, es muss ehrlich darauf vorbereitet werden, dass es hochspülen kann, was sich echt beschissen anfühlt. Wie kriegt man das hin, dass Teilnehmer*innen trotzdem nicht schon mit Kloß im Hals und bedrückendem Bauchgefühl in den Workshop gehen — und gerade das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird? Oder die Warnungen wie ein Grauschleier das verdecken, wofür die Kurse natürlich auch stehen und was sie ermöglichen können: die Leichtigkeit, die Befreiungsschläge, die Triumphe, das Quietschfidele, die wertvollen Erkenntnisse, la dolce vita… Wie kriegt man das hin, dass die Vorsichtmaßnahmen nicht einfach nur nerven oder bevormunden oder sich nur am potentiell vulnerabelsten Mitmachenden orientieren und alle, die schneller, weiter, intensiver wollen, mit angezogener Handbremse fahren lassen? Wie lang muss der Workshop sein, um neben Kennenlernrunden, Konsensübungen, Feedbackrunden genügend Zeit (und Kraft) dem widmen zu können, weswegen man doch eigentlich zusammengekommen ist? Wie wird das Ankündigen möglicher Gefahren nicht zu etwas bloß Erschlagendem, wenn das viele Reden und Zuhören für viele bei Workshops eh schon anstrengend und auslaugend genug ist.

Gleichzeitig geht es ja gar nicht immer nur um Risikoprävention. Es sind manchmal gerade die beschissenen Erfahrungen, die als besonders wertvolle Erfahrungen mit nach Hause genommen werden. Das Unangenehme kann als Anlass zum Anschmeißen einer Art „Entwicklungsmaschine“ erlebt werden, die essentielle Lernerfahrungen und radikal ehrliche Einblicke ermöglicht. Als Chance, im „staying with the trouble“ und im konstruktiven Umgang mit Krisen sein Repertoire an Bewältigungsstrategien und seinen philosophischen Horizont zu erweitern, sich selber und andere kennenzulernen, sein eigenes „Immunsystem“ mit seinen psychischen Widerstandsfähigkeiten zu stärken und auch als Gruppe zu wachsen.
Gleichzeitig ist dieser Aufruf zum Stärkerwerdenmüssen auch ermüdend und kann politisch fragwürdig sein. Treffend beschreibt Sara Ahmed, wie Resilienz auch als konservative Technik genutzt werden kann, die andere dazu bringt, mehr Druck auszuhalten (und auch noch stolz darauf zu sein) statt zu sagen: „Nö, es reicht!“ Kriegen Workshops diesen Drahtseiltanz hin, Stärke nicht mit Abstumpfen zu verwechseln und auch Raum für dieses „Nö!“ zu geben? Wo man gemeinsam probiert, nicht mehr etwas auf sich nehmen und „lernen“ zu müssen, sondern zu sagen: Du darfst dich jetzt erleben in diesem „Es reicht!“ und statt artig resilienter und domestizierter zu werden, darfst du jetzt wild bellen und schnappen.
„To be snappy is to be ‚apt to speak sharply or irritably.‘ That certainly sounds like a feminist aptitude. Feminism: it has bite; she bites. […] This does not mean or make snappiness right or into a right. But perhaps snappiness might be required to right a wrong when a wrong requires we bear it; that we take it, or that we take more of it.
Snap: when she can’t take it anymore; when she just can’t take it anymore. Speaking sharply, speaking with irritation. Maybe we can hear her irritation; a voice that rises, a voice that sharpens. A voice can lose its smoothness; becoming rougher, more brittle. When her irritation speaks volumes, we might be distracted from what is irritating. Can we even distract ourselves? Irritation is an intimacy of body and world.“ (Sara Ahmed: Living A Feminist Life, 2017)

Wer mit wem?

Wir erwähnen für unsere Kurse nicht nur, dass alle willkomen sind (es sei denn Kurse sind dezidiert exklusiv wie die „orgie des femmes*„), sondern auch, dass wir nicht künstlich irgendein Geschlechterverhältnis arrangieren möchten. Das habe ich bei so einigen Tantra-Kursen als gewaltvoll erlebt, dass davon ausgegangen wurde, dass die Partnerübungen selbstverständlich im Arche-Noah-Prinzip Männlein-arbeitet-mit-Weiblein-zusammen funktionieren, und bei einem Überschuss an angemeldeten Männern dann extra nach Frauen gesucht wurde oder diese als Assistentinnen teilnahmen. Klar war dann auch, dass angemeldete Frauen dann nicht einfach mit einer anderen Frau zusammen arbeiten durften, sondern ja schon einkalkuliert waren für die Männer. Dass weibliche Assistentinnen für die angemeldeten Frauen engagiert wurden, just in case falls eine Frau mit einer Frau üben möchte, habe ich noch nicht erlebt.

So gilt bei uns, dass die generelle Bereitschaft mitgebracht werden sollte, mit verschiedenen Leuten Übungen durchzuführen, ohne dass deren spezifisches Geschlecht ausschlaggebend sein muss. Niemand wird gezwungen mit jemandem zusammenzuarbeiten, wenn sich das nicht gut anfühlt. Das würden wir aber in der jeweiligen Situation erfahren und nach Lösungen suchen, statt im Vorhinein arbiträre Kategorien als Ausschlusskirterien anzunehmen.

Das heißt auch: Sollte es vorkommen, dass bei einem gemischt angekündigten Kurs sich zufälligerweise nur Männer anmelden, dann würden wir den Kurs halt nur mit Männern machen und vorher vielleicht noch eine Email schreiben, die darauf vorbereitet, aber dann ist das halt die spezifische Lernerfahrung, die das Schicksal uns als Aufgabe stellt  Es ist ja nie Zufall, wer sich anmeldet, sondern wie bei einer Tarotlegung erzählt das schon etwas über den Kurs, wer da wie von einer archaischen Intelligenz zusammengewürfelt wurde. Warum das künstlich unter Kontrolle und Steuerung bringen wollen?

Die Gruppe, der Einzelne und die Lovebirds

Was wir nach einem Kurs auch neu als Klausel gefasst haben: Kommt gerne als Pärchen, wir werden euch aber als Einzelpersonen, nicht als Pärchen/Triochen/Polyfamily adressieren. Das passiert manchmal, dass im Sitzkreis die Teilnehmer*innen dazu eingeladen sind, sich vorzustellen, eigene Wünsche, Erwartungen und wichtige Hinweise mitzuteilen. Und Paare* adressieren sich plötzlich als ein Wesen und sagen nicht „Ich“ sondern „Wir“. Das ist tricky, denn eventuell wird das freie Sprechen verhindert oder gar manipuliert, weil man es den Erwartungen des*der Partners*in entsprechend formuliert. Lieber ist uns dann, dass jede*r erstmal von sich spricht, und auch damit arbeitet, dass die Wünsche und Bedürfisse einer Person andere sind, als was man als Liebespaar/-gruppe von sich erwartet. Auch damit muss gearbeitet werden, statt es im Vorhinein zu zensieren. Gerade hier liegt wieder die Chance, sein significant other von ener ganz neues Seite erleben zu können und schillernden Raum in die Beziehung zu bringen.

Sit down, be humble (bitch)

Zudem stellt jeder Kurs eine Art „Bubble“ dar, in der es unalltäglich und intensiv zugeht. Da können die Hormone schonmal auf Hochtouren laufen, zwischen Übungspartner*innen eine besondere Chemie, gar Seelenverwandtschaft, gespürt, oder eigene Prozesse als Durchbrüche interpretiert werden – als habe das Flogging oder die Yonihuldigung endlich die Depression geheilt – oder die Gruppe gerät in einen Taumel, in welcher die eigenen Praktiken als höchst politisch relevant und weltfriedenstiftend bejubelt werden. Funken davon sind bestimmt wahr, jedoch laden wir dazu ein, das alles erstmal nicht überzuinterpretieren, nach dem Kurs schön wieder auf der Erde zu landen und dann nochmal Inventur zu machen, was vom Workshop bleibt und was weitergeführt werden möchte. Auch die nirvana-nähsten Erkenntnisse verpuffen, wenn der Trott wieder eintritt und es braucht ein Weiterdranbleiben. Und die Workshoppartner*in, in welche man sich doch gefühlt so verknallt habe, wirkt am Montag vielleicht schon wieder ganz anders. Was sie und die Übung nicht weniger magisch macht.

Zauberformel und FAQ

Wenn nun alles alles in eine Formel gesteckt wird, dann sind wir gerade an dieser  ausufernden  Klausel am basteln:

Is this for me?
Beginners and newbies as well as experienced players with all of their different needs and abilities are welcome. In order to prepare a workshop it’s best to let us know beforehand about your experience level when registering.
Gender identity and sexual orientation are not criteria in the registration process and the selection of the participants. People of all colors, sizes, 18+ages, genders and sexual orientations are welcome, as well as differently abled bodies – as far as our resources meet your needs. Contact us if in doubt.

With whom do I work?
Our courses are built in a way to learn together as a group and support the personal experiences and developments of the participants. We work process-, not goal-oriented. Thus we a) don’t understand ourselves as unquestionable „Gurus“, b) understand our work as open to and improvising with surprising results, rather than sticking to a recipe following certain steps leading to one goal/one „truth“ and c) address each participant as individuals. Any kinds of partnerships are welcome, but you should be aware of and open to the fact that the courses are not specifically designed as a couple/polygroup experience. As an example: to include all participants equally, we usually work with random combinations of partners in the exercises. This also means that same, as well as differing, gender combinations are likely to occur. Since we embrace diversity and intersectional liberation, participants should be generally open to work with anybody and any body. Exceptions can still be discussed in individual cases and nobody will be forced to do anything they don’t want to, on the contrary.

Is this safe?
You probably made your way to us not to be first and foremost safe, but because you want to experience something important, interesting, exciting, enriching. Therefore we don’t create safety as a virtue that is an end in itself. Riskmanagement is a means to an end that supports those important experiences of collective flourishment, eliminating anything that doesn’t serve this process.
Otherwise you could be safe but have an insignificant experience – and what’s the use of that?
Creating a safe(r)/risk-aware space should never be confused with feeling ‚good‘ and harmonious all the time. Participants should be aware that because of their experimental, possibly transgressive and eye-opening/light-shedding/magnifying-glass quality, kinky and sexual activities carry an inherent risk of physical and/or emotional injury. While providing a supportive, safer/risk-aware and confidential space (with e.g, tools and supplies, guidance and intention, exercises and space-holding, warm ups and aftercare, open dialogue and possibilities to follow one’s own rhythm, adapting proposals, take breaks, ask also supposedly „stupid“ questions, share, reflect and incorporate experiences, being aware that some deep processes can happen silently, not theatrically loud), it is still quite likely to feel uncomfortable or confused at some point — but going through those processes together can be a blessing, a chance for learning, growth and cultivating resilience. Or, if you don’t feel like “recycling damages into more resources” we will try to hold space for you to snap  Because that can also be the start of something.

We encourage you to modulate situations in a way that serves you and to find out what you need to feel supported, to minimize potential triggers and let us and the group know about it. We give permission to be yourself and connect, while requiring you to accept personal responsibility, to respect others and their (non-)consent as well as to honor your own needs and boundaries at all times. Taking care of yourself also includes to be informed about how to prevent STIs and getting tested regularly.
The responsibilities we assign you with, mean for us – as facilitators the people with „more power“ – to consider our own responsibility to offset the possible pressure on consent. We work on defusing potential consequences of a „no“, so your „yes“ can be more free. This means, for example, there will be no consequences if you don’t want to participate in an exercise, no shaming, no pushing, no presumptuous comments.
We ask you to stay sober during our events to fully enjoy the intoxicating qualities of your own hormones induced by bodywork and relational interactions.
Last but not least: For us a „safe space“ has to mean: „mistake-friendly space“. Mistakes will happen. Those who dare to walk on untrodden paths and do things that cost them some overcoming have a higher risk of making mistakes and we actually support you to do exactly that. Don’t be afraid to be patronized, punished or excluded because of a mistake or because of having different opinions. The question is rather how you deal with them. We are in this together and will work with tensions. Actually some of the most touching and liberated (and safe) experiences came from this, because we don’t gather and do this work just to again perform being good girls and boys doing everything correctly, but to spare ourselves this stress and finally be courageous and fail together. The possibility of failing big time as a basis for honest encounters and letting those things emerge that are important and alive and therefore so sexual in the here and now in this unique group.

What else should I know?
Due to the intense and unconventional nature of our spaces, it’s possible to experience a „drop“ some days after attending an event, even when leaving feeling wonderful and glorious. If possible, plan in some quality time for yourself after a workshop to digest your experiences and always feel free to stay in touch!
Our experience also shows, that workshops have a lasting effect, but everything depends on what you make out of it and to keep on practicing. Enjoy the possible high a workshop can give you, but we recommend to stay humble and be careful not to overinterpret rose-colored glasses. The results might be more meaning- and powerful in their subtlety.
In the unlikely event of a problematic situation exceeding our capabilities of support, we will still provide you with helpful contacts and information. Reach out.
We reserve the right to ask participants to leave, should their behavior be extremely problematic and harming others. Any kind of hate speech will not be tolerated. But candy speech is allowed.

 
Beata Absalon

Beata erforscht als Kulturwissenschaftlerin “andere Zustände”, wie Gebären, Trauerarbeit, Hysterie, Schlaf, radical happiness & collective (kill-)joy oder sadomasochistische Praktiken. Nachdem sie zunächst untersuchte, wie Seile in aktive Passivität versetzen können – durch Bondage, aber auch im Marionettenspiel oder politischen Aktivismus –, promoviert sie derzeit über erfinderische Formen der Sexualbildung. Ihr theoretisches Interesse speist sich aus der Praxis, da sie sich und andere gerne in ekstatische Zustände versetzt – am liebsten undogmatisch: Flogging mit Lederpeitsche oder einem Bündel taufrischer Minze, Halten mit Seil oder Umarmung, Spielen mit aggressivem Kuscheln oder liebevoller Erniedrigung, Fließenlassen von Wörtern oder Spucke. Zu tun, was aus der Norm und dem Alltäglichen fällt, kann Angst machen und gleichzeitig ungeheuer lustvoll sein. Workshops und Sessions gestaltet Beata als Erfahrungsräume für Grenzwanderungen, auf denen Grenzen überschritten und gefunden werden, vage und wagemutige Phantasien gemeinsam erkundet, ein eigener Stil entstehen darf.

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Beflügelnde Beschränkung – nicht nur auf Japanisch. Kulturhistorische Verknüpfungen zu Bondage

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Jenseits von ’sexpositiv‘ und ’sexnegativ‘