‚Look what marketing’s done to my body‘ – Vom Zwang (nicht so) kreativer Selbstvermarktung
„Zum Zentrum oder zur ‚Seele‘ des Unternehmens ist die Dienstleistung des Verkaufs geworden. Man bringt uns bei, daß die Unternehmen eine Seele haben, was wirklich die größte Schreckens-Meldung der Welt ist.“
– Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften
So sehr es mir Freude bereitet und sich immer wieder nach sinnvoller Arbeit anfühlt, Workshops zu gestalten und durchzuführen, so sehr hängt damit eine Aktivität zusammen, die ich einfach nur hasse: Marketing. Darum betteln, dass doch bitte bitte viele Menschen trotz der großen Konkurrenz erkennen, was man da für tolle Arbeit macht und dass sie kommen – nicht mal nur, weil es ein Beruf ist und man davon leben möchte, sondern auch, weil es zu traurig wäre, wenn Workshops aufgrund geringer Teilnehm•erinnenzahlen ausfallen müssen.
Während das Schreiben von Ankündigungstexten mir noch Spaß macht, beginnt der Horror, wenn ich merke, dass ich stundenlang vor Facebook gehockt habe, wie eine Jägerin eine Conscious und Sensuality Gruppe nach der anderen suchend und mich ins Zeug legend, den Veranstaltungslink mit einem einladenden Text überall zu posten, wo es interessierte Menschen finden könnten – immer mit dem Hintergedanken, dass manche Gruppen zum Limbo eben solcher Posts geworden sind, die eh keiner liest, weil alle damit beschäftigt sind, ihr Event zu verbreiten, statt sich für die der anderen zu interessieren. In den ärgsten Phantasien rollen nur noch Tumbleweeds durch diese Gruppen; entsprechend entfremdet fühlt sich die Arbeit dann an.
Obendrauf der Druck, immer schön regelmäßig bei Instagram zu posten. Hier kann man es sich immerhin damit vergnüglich machen, visuell kommunizieren zu können und mit absurden Hashtags schon kleine Poesieversuche zu starten. Das Allerschlimmste: Likes beim (Nicht-)Wachsen zusehen. Und zu merken: das wohldurchdachte Foto-Text-Gebilde kommt erst dann an, wenn Gesichter (und nackte Körper) abgebildet sind. Das überrascht nicht, bleibt aber verwunderlich, wenn auch Personalausweise, Lebensläufe, Wahlplakate und biometrische Kameras diesem Gesichtsfetisch frönen – warum auch immer das Gesicht von Bewerbern irgendwas über ihre Fähigkeiten aussagen sollte – aber Kontrollieren geht damit anscheinend ganz gut → wieso reproduzieren wir (als es eigentlich besser wissende BODYworker) diese problematische Allianz dann aber immer auch dadurch, dass auf tausenden Websites mit Bodyworkangeboten ein nettes Foto einfach zum Sich-Vorstellen anscheinend nicht ausreicht, sondern übergroß oder wiederholt auftaucht: „Kuckuck! Hier bin ich! Und hier auch! Und so sehe ich auch aus!“ Warum!?!?!
Ich frage mich, wie es den anderen damit geht, ich zumindest bin vor dem letzten Workshop in ein tiefes Loch gefallen, in dem vor allem auch sowas wie Wut herrschte, weil es mich ehrlich so angekotzt hat – vor allem, weil es den Inhalten der Workshops konträr entgegensteht. Da predigt man einerseits wie wichtig und nährend tiefgründige und verspielte Begegnungen oder im-Körper-sein sind, und muss dafür formal genau das Gegenteil tun. Social-Media-Kanäle geben Schablonen vor, die wie bei Malen-Nach-Zahlen ausgemalt werden und wo man kalkuliert sein Leben kuratieren und verwalten kann. Da ist es schwer irgendwie bedeutsam über die vorgegebenen Linien zu kritzeln, was Überraschungen, kleine Besessenheiten, Sinnlichkeit, Bewusstheit und Austritte aus der Komfortzone angeht – vollkommen paradox diese blöde Zeichnung immer wieder auf Facebook zu finden; ähnlich, wie sich in eine vulnerable Pose zu schmeißen und die auf Facebook dann aber ganz strategisch ausschlachten zu lassen — weil man ist dann doch nicht zu touched und overwhelmed, um es nicht doch mit nem ellenlangen Text zu posten. Und mit ihren „I feel you“-Kommentaren fallen aber ‚alle‘ erstaunlicherweise drauf rein. „Doch die Macht der Verführung ist auch und gerade dort, wo die Verführung ausgeschlossen, gebannt, exorziert werden soll.“ (J. Baudrillard).
Ich habe mich dabei beobachtet, wie getrieben ich mich gefühlt habe, weil man beim eigenen Posten ja auch auf die Werbestrategien und Posts der anderen stößt. Gang und gäbe sind Testimonial-Zitate, bei denen ich verstehe, dass sie bei Besuch•erinnen Vertrauen wecken sollen und einfach auch schöne Geschenke von Teilnehm•erinnen sind, die nicht im Verborgenen bleiben müssen (und ich möchte selber auch mal ein paar berührende Rückmeldungen auf unserer Seite teilen), aber ich komme nicht umhin dabei an TripAdvisor oder Yelp zu denken. Auch alles schön leicht verdaulich machende Bulletpoints in Workshopbeschreibungen scheinen direkt aus dem letzten Businessfortbildungsseminar zu stammen.
Dann stellt sich automatisch die Frage ein, ob man das jetzt auch alles so machen muss – laut Likes kommen bestimmte Kommunikationsstrategien gut an — obwohl man nicht erst das neue Deichkind-Album hören muss, um zu wissen: „Wer sagt denn das, dass viele Klicks Qualität bedeuten? Und wir mit Optimieren nicht nur unsere Zeit vergeuden?“ Trotzdem fängt man an zu Grübeln, welche Kompromisse man wohl eingehen muss: „Muss ich also jetzt auch andauernd mein Gesicht posten – am besten ungeschminkt um damit meine Verletzlichkeit und Authentizität zu beweisen? Muss ich überhaupt dieses Antiwort (ja eigentlich schon Schimpfwort) ‚Authentizität‘ jetzt auch benutzen? Und die ganzen anderen toll klingenden, leeren amazing Phrasen?“
Zu diesen Fragen mischte sich auch Wut über die in so vielen Posts einem aufs Brot geschmierte Gefühligkeit und Selbstoffenbarung (Stichwort: Personal Branding), die wegen des Marketing-Rahmens einfach wie eine Farce wirkt, wenn die tyrannisierende Innerlichkeit gekoppelt ist mit Formulierungen wie „Now: 20% Discount!“ oder es wird Stress gemacht sich „schnell schnell schnell“ seinen special price zu sichern, bevor es jemand anderes tut — und verbündelt sich mit diesem Stress-Bullshit formal echt mit den Falschen (damit das nicht zu harsch klingt, ist das am besten noch gesprenkelt mit einer verführerischen Formulierung wie ‚yummy‘ – „als wäre alles ein Cupcake“ sagte mal eine Freundin dazu ). Oder es finden sich Formulierungen wie „Are you ready for liberation?“ – wie direkt aus einer Nike-Werbung … Nicht zuletzt kann diese gehäufte und übertriebene Betonung von Sensationellem oder Verletzlichem immer auch als Warnzeichen für Narzissmus gelesen werden, dass sich eben in „Grandiosity-Exhibitonism“ oder „Vulnerability-Sensitivity“ äußern kann.
Bei Rainer Werner Fassbinder heißt das „Schwarzmarkt der Gefühle“ und der Soziologe Richard Sennett beschreibt das alles schon 1973 in seinem Buch ‚Fall of the Public Man‘ (dt.: ‚Verfall und Ende des öffentlichen Lebens‘) als Narzissmus und „Markt der Selbstoffenbarung“ und beschreibt darin auch eine Problematik am Authentizitätsbegriff: „Wenn eine Person als authentisch beurteilt wird oder wenn einer Gesellschaft als ganzer gesagt wird, sie schaffe Authentizitätsprobleme, dann enthüllt diese Redeweise, wie stark soziales Handeln abgewertet ist, wobei der psychologische Kontext immer größeres Gewicht erhält.“ Ergo: wir werden immer weniger zu politischen Subjekten, weil alles unter der Ideologie der Intimität steht; wir handeln immer weniger, weil wir so damit beschäftigt sind auf Facebook zu posten wie viel gratitude wir wegen des ausverkauften letzten Workshops fühlen – oder fühlen uns getriggert weil wir damit beschäftigt sind, solche Posts von anderen zu lesen. Noch viel vergnüglicher erklärt das aber jedes Theaterstück von René Pollesch, der statt zur Selbst- zur Fremdverwirklichung aufruft. Weil Authentizität und Fühligkeit so verankert in der Dienstleistungsgesellschaft ist und auch bei den ganz großen global playern ökonomisch für sich zunutze gemacht wird, können gerade Methoden des Theatralen und Inszenierten (also nicht authentischen – wobei ich darunter nicht ‚integer‘ oder ‚loyal‘ meine) subversiver und einfach lustiger sein, weil man sich von dem Druck befreien kann, andauernd das Selbst zu performen. Urlaub von der Ich-AG, herrlich!
Eine offene Frage ist: Geht es nicht auch anders? Welche Darstellungsformen können uns einfallen, die dem Potential von guten Workshops eher entsprechen — das Potential, andere Begegnungen zu ermöglichen, nicht an Effizienz orientiert zu sein, zu wachsen, zu hinterfragen, besondere Momente wie kleine Schätze bei sich zu behalten und zu ehren ohne sie gleich auszuschlachten? Und irgendwie ist es ja auch eine ethische Frage. Irgendwie hält man seine Fangemeinde ja in seinem Bann und zwingt sie quasi dazu, ihre Zeit auf Facebook (einer Werbeplattform per se!) damit zu verschwenden, sehr viele fühlige aber eigentlich irrelevante Posts zu lesen. Es gibt ja wichtigeres zu tun! Im Gespräch mit Kolleg•innen merke ich jedenfalls, dass wir alle davon gefrustet sind — und machen diese Verkaufsstrategien trotzdem, als hätte die ganze Dynamik ein monströses Eigenleben, dem man sich nicht entziehen könnte, als gäbe es keine Alternativen. Ja ok, wie stecken alle in prekären Kreativjobs mit ihren neoliberalen Parolen von Selbstverantwortung über Wettbewerbsfähigkeit bis zum unermüdlichen Erbringen von Erfolgsausweisen, in denen Kreation und Depression blöderweise so gerne Hand in Hand gehen, wenn wir einfach nur unseren Arsch retten und dabei am liebsten noch das tun möchten, was wir lieben.
Im Trotz habe ich auch schon überlegt, einfach nur noch im guten alten Teletext Workshops zu bewerben (auf Seite 666!) oder Kartoffelstempel-Flyer zu machen. Naja, so eine Rückkehr zum Retro ist aber auch schon alter Kaffee und Strategie jedes Smoothies. Eine Freundin machte mich darauf aufmerksam, wie klug das damals bei der Schwelle 7 war, bei Voll- oder Neumond Playparties anzubieten, da musste man nämlich einfach in den Himmel schauen und wusste, ob heute Abend was abgeht und hat sich das Followen und den gestressten FOMO-Blick ins Smartphone und den Terminkalender gespart.
So, hier bricht mein Dampfablassen jetzt einfach (wenn auch perspektivlos) ab. Schon besser.
P.S. Adorno (who else!) : „Ungezählte machen aus einem Zustand, welcher aus der Liquidation des Berufs folgt, ihren Beruf. Das sind die netten Leute, die Beliebten, die mit allen gut Freund sind, die Gerechten, die human jede Gemeinheit entschuldigen und unbestechlich jede nicht genormte Regung als sentimental verfemen. Sie sind unentbehrlich durch Kenntnis aller Kanäle und Abzugslöcher der Macht, erraten ihre geheimsten Urteilssprüche und leben von deren behender Kommunikation. Sie finden sich in allen politischen Lagern, auch dort, wo die Ablehnung des Systems für selbstverständlich gilt und damit einen laxen und abgefeimten Konformismus eigener Art ausgebildet hat. Oft bestechen sie durch eine gewisse Gutartigkeit, durch mitfühlenden Anteil am Leben der andern: Selbstlosigkeit auf Spekulation. Sie sind klug, witzig, sensibel und reaktionsfähig: sie haben den alten Händlergeist mit den Errungenschaften der je vorletzten Psychologie aufpoliert. Zu allem sind sie fähig, selbst zur Liebe, doch stets treulos. Sie betrügen nicht aus Trieb, sondern aus Prinzip: noch sich selber werten sie als Profit, den sie keinem anderen gönnen. An den Geist bindet sie Wahlverwandtschaft und Haß: sie sind eine Versuchung für Nachdenkliche, aber auch deren schlimmste Feinde. Denn sie sind es, die noch die letzten Schlupfwinkel des Widerstands, die Stunden, welche von den Anforderungen der Maschinerie freibleiben, subtil ergreifen und verschandeln. Ihr verspäteter Individualismus vergiftet, was vom Individuum etwa noch übrig ist.“ (aus: Minima Moralia)
P.P.S. Titelinspiration von Mark Fishers mix „Look what fear’s done to my body“
P.P.P.S. Was auch hilft sind die Videos: